Mentale Gesundheit im Spitzensport

Sportspezifische Stressfaktoren

Stressoren im Leistungssport sind alltäglich und haben unterschiedliche Nährboden. Eine wichtige Stressquelle sind überfüllte Trainings- und Turnierprogramme. Das Paradebeispiel dafür ist der Fußball. Eine Spielsaison eines Top-Spielers ist vollgepackt  mit mehreren Turnieren, die Geist und Körper in Mitleidenschaft ziehen. Immer wieder kritisieren erfolgreiche Trainer aus den besten Ligen der Welt die Spielbelastung innerhalb einer Saison und wünschen sich längere Erholungsphasen zwischen den Begegnungen. Hinzukommen mentale Herausforderungen, die das allgemeine Wohlbefinden von Spitzensportlern beeinflussen. Hier können Denksportler als Beispiel genommen werden. Ständige Konzentration, Selbstbeherrschung sowie außergewöhnliche Problemlösungsfähigkeiten sind im Denksport die wichtigsten Voraussetzungen für Erfolg. Darüber hinaus gibt es komplexe Vorschriften und Strategien, die während einer Begegnung korrekt umgesetzt werden müssen. So muss ein Pokerspieler wesentliche Grundlagen des Kartenspiels wie die Reihenfolge der Hände berücksichtigen und gleichzeitig den Dealer und die Konkurrenten im Auge behalten. Weiterhin ist die Leistung eine wichtige Stressquelle, da sich viele Sportler über ihre persönlichen Erfolge oder über die Teamleistung definieren. Häufige Niederlagen, Formtiefs oder langandauernde Verletzungspausen können Druck auf den Sportler ausüben und sich zu Stressreizen entwickeln.

 

Organisatorische und private Stressquellen

Neben den Stressoren, die aus der Beschaffenheit einer Sportart resultieren, üben auch organisatorische Gegebenheiten Druck auf Sportler aus. Dazu zählen schlecht organisierte Reisen, Unstimmigkeiten während Vertragsverhandlungen oder plötzliche Veränderungen in Trainingsinhalten. Nervenaufreibend können auch zwischenmenschliche Probleme mit Trainer und Teamkollegen, Fans und Sponsoren sein. Sportler aus den Top-Rängen sind außerdem ständiger Kritik aus den Medien ausgesetzt und müssen sich häufig für ihre Leistung auf dem Feld öffentlich rechtfertigen. Nicht zu vergessen sind weiterhin Stressoren aus dem privaten Umfeld. Wie jeder Mensch haben auch Sportler von Zeit zu Zeit mit Beziehungsproblemen, familiären Herausforderungen sowie Identitäts- und Sinnkrisen zu kämpfen.  

Vernachlässigte mentale Unterstützung

Bei all diesen unterschiedlichen Stressquellen wird der Sportler oftmals in Bezug auf seine mentale Gesundheit alleine gelassen. Es ist bewiesen, dass ein gewisses Grad an Stress in Wettbewerben leistungsfördernd ist. Denn Stress leitet die Ausschüttung der Hormone Adrenalin und Noradrenalin ein, um die Energiereserven des Körpers zu mobilisieren. Verliert ein Mensch jedoch die Kontrolle über die Stressreize, verursachen sie ernstzunehmende Folgen, die Komfort und Leistungsfähigkeit beeinträchtigen oder sogar kritische Lebensphasen einführen. Der angemessene Umgang mit Druck muss daher gelernt werden. Doch während die körperliche Verfassung des Sportlers umfassend kontrolliert wird, erhalten nur wenige Sportler in herausfordernden Situationen seelischen und emotionalen Beistand. In letzter Zeit sprechen immer mehr Top-Athleten dieses Ungleichgewicht in der Öffentlichkeit an. Während Erfolgsturnerin Simone Biles und Tennisstar Naomi Ōsaka sich nicht davor scheuen Turniere wegen mentaler Überlastung abzusagen, sprechen Pokerprofi Lex Veldhius und Fußball-Weltmeister Paul Pogba in den Medien offen über ihre psychischen Höhen und Tiefen. 

 

Mentale Schulung  

Die Offenheit dieser Sportler hat zu einem neuen Bewusstsein in Bezug auf die mentale Gesundheit geführt. Die Sportbranche merkt langsam, dass die geistige Verfassung des Sportlers genauso bedeutsam für die Leistungskurve ist wie die körperliche Fitness. Stress im Sport ist zwar unmöglich zu vermeiden, jedoch durch das Erlernen von mentalen Strategien kontrollierbar. Diese helfen nicht nur in akuten Krisenmomenten, sondern wirken langfristig auch leistungssteigernd, da ihre kontinuierliche Anwendung im Verlauf der Zeit eine Resilienz gegenüber Druck aufbaut. 

Eine Methode, die sich direkt auf die Performance bezieht, ist das subvokale Training. Hier internalisiert der Sportler seine Bewegungsabläufe durch Selbstgespräche. Die Technik der verdeckten Wahrnehmung greift auf die menschliche Fähigkeit der Visualisierung zurück. In diesem Fall verinnerlicht der Sportler seine Bewegungsabläufe durch deren Abspielen im inneren Auge. Beim ideomotorischen Training fokussiert sich der Sportler hingegen auf die Bewegung selbst. Er verarbeitet im Geiste die unterschiedlichsten Parameter der körperlichen Aktivität und sucht sich seine Verbesserungspunkte aus. Jenseits der Leistungsverbesserung durch mentale Techniken nehmen Sportler vermehrt Schulungen zu Entspannungsübungen an, bekommen Supervision nach Wettbewerben und Krisensituationen oder erhalten persönliche psychologische Beratung.  

 

Diese Angebote fördern die innere Balance der Sportler und bieten Bewältigungsstrategien gegen Stress, der ein unbestreitbarer Teil des Leistungssportes ist. Die wachsende Annahme der mentalen Unterstützung verdankt die Sportwelt natürlich mutigen Persönlichkeiten, die sich nicht davor scheuen, offen über mentale Herausforderungen im Leistungssport zu sprechen. Zwar gibt es in vielen Bereichen der Sportwelt weiterhin Mängel diesbezüglich, doch mit wachsendem Bewusstsein können Sportler auf mehr mentale Unterstützung in der Zukunft hoffen.